Geschichte
Die Geschichte der Stanley Thomas Johnson Stiftung ist vielschichtig. Historische Recherchen unterstützen uns dabei, die Stiftungsgründung und die Motivation dahinter zu verstehen. Ein Ermittlungsversuch.Basierend auf historischen Recherchen und Texten von Marcel Brengard & Peter Miles
Die Stiftungsgründerin
Eines steht fest: Der britische Industrielle Stanley Thomas Johnson ist der Namensgeber der gleichnamigen Stiftung. Ihre Gründung ist aber nicht zweifelsfrei auf ihn zurückzuführen. Vielmehr verdankt sie ihre Existenz seiner Frau June Mary Johnson und seinem Berner Treuhänder Hugo Spühler. Nach eigenen Angaben überredete letzterer die Witwe, in ihrem Testament das gesamte eheliche Vermögen einer karitativen Stiftung zu vermachen. Nach ihrem Tod sollte diese in Bern errichtet und nach ihrem verstorbenen Gatten benannt werden.
Stanley Thomas Johnson
* 10.06.1910; † 01.02.1967
Mary June Johnson
* 28.03.1931; † 07.04.1969
Nieten und Jetset
1910 im Süden Englands geboren, entschied sich Stanley Thomas Johnson 26 Jahre später für eine Karriere in der Auto- und Flugzeugindustrie. In dieser Zeit patentierte er die Chobert-Blindniete, die noch heute in der Flugzeugfabrikation zum Einsatz kommt. Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, baute er ausserhalb von London seine Hauptproduktionsstätte, in der er fortan Produkte für die aufblühende Luftfahrtindustrie herstellte. Unter dem Namen Avdel (kurz für Aviation Developments) entstanden in den Folgejahren weitere Werke auf der ganzen Welt. Stanley und June lernten sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den frühen 1950er Jahren in London kennen. 1954 heirateten die beiden in Kalifornien und bezogen kurz danach eine Wohnung mit Seesicht an bester Adresse in Genf. Das Ehepaar reiste viel und führte in der Schweiz ein eher unauffälliges Leben. In dieser Zeit baute die linke Labour-Partei England zu einem Sozialstaat um und verstaatlichte grosse Betriebe. Gut möglich, dass wirtschaftliche Gründe den geschickten Geschäftsmann Johnson dazu veranlassten, seinen Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen.
Letzter Wille?
Stanley Thomas Johnson verstarb 1967 im Alter von nur 57 Jahren an den Folgen einer längeren Krankheit. In seinem Testament hinterliess er seinen gesamten Besitz seiner Ehefrau June. Die Verwaltung dieses Vermögens übertrug er jedoch dem sogenannten Avdel Policy Committee (APC), welches er bereits vor seinem Ableben einberufen hatte. Das APC bestand aus drei Vertrauensleuten von Avdel, drei persönlichen Beratern und der Sekretärin Elsie Metcalfe. Es bestimmte weitgehend und oft bevormundend über die Finanzen von June Johnson. Diese starb 1969, nur zwei Jahre nach Stanley, unter ungeklärten Umständen in ihrer Genfer Wohnung. Sie wurde gerade 38 Jahre alt. Da June früh ihre Eltern verloren hatte und kinderlos war, gingen CHF 100'000 von ihrem Vermögen an Stanleys Schwester. Mit dem restlichen Erbe entstand 1969 die Stanley Thomas Johnson Stiftung. Metcalfe sowie Spühler beteuerten stets, dass die Stiftung den Weiterbestand der Avdel-Gruppe im Sinne von Stanley Thomas Johnson sichern sollte. Allerdings fehlen Unterlagen, die seinen Willen zur Schaffung einer Stiftung bezeugen würden. Fest steht, dass ihre Gründung eine Erbteilung verhinderte und den Zusammenhalt des Firmenkonglomerats und somit Johnsons Lebenswerk sicherte. Wahrscheinlich entsprach also vor allem der Erhalt der Avdel-Gruppe dem Willen Johnsons.
Aller Anfang ist schwer
Bereits ein halbes Jahr nach June Johnsons Tod tagte die Stanley Thomas Johnson Stiftung zum ersten Mal. Das APC machte das Gros des Stiftungsrates aus, hinzu kamen einige neue Gesichter mit Beziehungen zu den Mitgliedern des APC. Gemäss dem letzten Willen von June sollte die Stiftung für die Förderung von Kunst, Musik, Theater, internationalen Hilfsprojekten (speziell vom IKRK) und Katastrophenhilfe sowie der wissenschaftlichen Forschung Gelder sprechen. Nach zwei ersten Vergaben stellte sich die Akquisition und Selektion von weiteren unterstützungswürdigen Organisationen als kompliziert heraus. Die Stiftungsratsmitglieder brachten geeignete Themen und Projekte zur Sprache und fragten Organisationen direkt um unterstützungswürdige Projekte an. Schon bald erreichten allerdings immer mehr Gesuche die Stiftung und der Stiftungsrat war vermehrt damit beschäftigt, Projekten ausserhalb des Stiftungsbereiches abzusagen. Zudem prägte primär die Überführung der Vermögenswerte aus dem Nachlass von June Johnson in die Verfügungsgewalt der Stiftung ihre ersten zehn Jahre. Die Vergaben kamen an zweiter Stelle.
Der Verkauf
Mit der Zeit nahm das APC den Besitz der Avdel-Werke zunehmend als Belastung wahr und fand es schwierig, die Interessen der Stiftung und der Gesellschaft unter einen Hut zu bringen. Im März 1973 fasste das Komitee deshalb den Beschluss, die Werke unter Berücksichtigung angemessener Zahlungsbedingungen zu verkaufen. Da sich aber eine weltweite Rezession bemerkbar machte, sollte die Firma an die neugeschaffene Firma Avdel International N.V. (ANV) übertragen werden. Die APC- Mitglieder Pearson und Moore wollten davon insgesamt einen Drittel aufkaufen und so organisiert das ganze Konglomerat verkaufen. Hugo Spühler begab sich auf die Suche nach einem interessierten Käufer, den er 1978 in der Firma Newman Industries fand. Der Verkauf von Avdel erregte allerdings Aufsehen in der Presse. Die Financial Times schrieb in diesem Zusammenhang von «the mysterious S.T.J.F.» (die mysteriöse Stanley Thomas Johnson Stiftung), weil diese kaum bekannt war. Herr Musitelli, der Direktor von Avdel Paris, reichte gar eine Aufsichtsbeschwerde ein. Er beklagte, dass Pearson und Moore durch ihre Aufkäufe unrechtmässigen Gewinn gemacht hätten und dass dieser Betrag eigentlich der Stiftung hätte zukommen müssen. Zudem sei durch die einseitige Konzentration auf einen Käufer kein optimaler Preis erzielt worden, wodurch der Stiftungsrat den Interessen der Stiftung zuwidergehandelt habe. Im persönlichen Gespräch konnte er aber dazu bewegt werden, seine Beschwerde zurückzuziehen. Der Verkauf ermöglichte der Stiftung die Sicherung der finanziellen Mittel sowie die Vereinfachung der Verwaltung. Zugleich bedeutete er das Ende des Avdel Policy Committee.
Mehr Freiheit
Durch den Verkauf war für die Stiftung viel mehr Geld für Vergaben vorhanden. Ab 1978 versuchte sie deshalb, ihr Engagement in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Darüber hinaus sollten Experten beigezogen werden, um über die Gesuche zu befinden. Eine weitere Neuerung war die Aufnahme von Kontrollreisen, mit denen die Stiftungsräte Entwicklungshilfeprojekte vor Ort begutachteten und vom Stand der Arbeiten und den Erfolgsaussichten berichteten. Im Laufe der 1980er-Jahre entfaltete die Stiftung zunehmend ihre volle Wirkung und finanzierte immer mehr Projekte verschiedenster Organisationen. Sie zeigte sich offen für neuartige Ansätze des gemeinnützigen Handelns. In den folgenden Jahren bewilligte sie Projekte, in denen Suchtkranken therapeutisch geholfen werden sollte oder unterstützte Frauenhäuser und andere Einrichtungen für die Opfer Häuslicher Gewalt. Damit zeigte die Stiftung Sensibilität gegenüber aktuellen gesellschaftlichen Problemen und den Willen, den testamentarisch festgelegten Stiftungszweck neu zu interpretieren und die Förderbereiche anzupassen.
Die Stiftung ist erwachsen
Seit der Gründung bestimmte ein Kodizill über die Vergabepraxis der Gelder mit und verhinderte z. B., dass die Stiftung Projekte in Sowjetrussland oder Deutschland unterstützen konnte. In den späten 1990er-Jahren waren diese internen Bestimmungen unter dem Eindruck der Eidgenössischen Rassismusstrafnorm und dem Ende des Kalten Krieges zunehmend veraltet und das EDI verfügte deshalb über die Aufhebung des Kodizills. 1999 lud die Stiftung zum 30-jährigen Jubiläum ins Kultur-Casino Bern ein. Tickets der öffentlichen Veranstaltungen kosteten CHF 20.- und das Konzert vom bekannten Berner Pianisten Reto Reichenbach, dem auch Bundesrätin Dreyfuss und andere Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik beiwohnten, war entsprechend gut besucht. Unglücklicherweise erlebte Hugo Spühler, Mitbegründer, Sekretär, Chairman und späterer Ehrenpräsident der Stanley Thomas Johnson Stiftung die Feierlichkeiten nicht mehr, da er kurz davor verstorben war. Nach dem Tod von Elsie Metcalfe 1994 starb mit ihm der letzte Stiftungsrat, der Herr und Frau Johnson noch persönlich gekannt hatte.
Good Governance
Die 2000er-Jahre prägte nicht nur die Finanzkrise, sondern auch eine Schenkung an die Stiftung. Diese stellte eine bedeutende Zäsur in ihrer Geschichte dar und hatte eine beachtliche Reorientierung der Vergabepraxis zur Folge: Durch die Zustiftung kam z. B. der Förderbereich Bildung dazu, der fortan Stipendien oder ganze Schulprojekte im Kanton Bern finanzierte. In diese Zeit fielen auch personelle Veränderungen und der Stiftungsrat reflektierte in verstärktem Masse seine eigene Tätigkeit. In Workshops und in Zusammenarbeit mit externen Experten nahm er wiederholt die Vergabekriterien aber auch das Wirken der Stiftung im Allgemeinen unter die Lupe und orientierte sich am Konzept der Good Governance. Er erliess Regelungen für Interessenskonflikte, überarbeitete interne Reglemente, stärkte die Rolle von Experten, baute die Ausschüsse weiter aus und suchte zunehmend die Öffentlichkeit. Dazu gehörte auch die Einführung des June Johnson Dance Price. Auch suchte die Stiftung die Zusammenarbeit mit professionellen Organisationen, auf deren Expertise sie bei Bedarf zurückgreifen konnte.
Experten und ein runder Geburtstag
Im Sinn der Expertenzusammenarbeit beendete der Stiftungsrat 2013 die Unterstützung medizinischer Forschungsprojekte und arbeitete von 2014 bis 2018 mit der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zusammen. Im Bereich der Ausbildung lancierte er 2016 das Pilotprojekt «2. Chance auf eine 1. Ausbildung». In Zusammenarbeit mit der Gesundheits- und Fürsorgedirektion sowie der Erziehungsdirektion des Kantons Bern bietet dieses Projekt ausgewählten Personen die Möglichkeit, eine Erstausbildung nachzuholen. Ab 2019 unterstützt die Stiftung ausserdem während drei Jahren zwei Projekte des Swiss Tropical and Public Health Institute im Gesundheitsmanagement von Flüchtlingslagern. Im gleichen Jahr feiert sie ihr 50-jähriges Bestehen.